Vom Polytheismus zum reinen Monotheismus
Unter Polytheismus versteht man gemeinhin den Glauben an viele Götter, unter Monotheismus den Glauben an einen Gott. Diese Definition ist jedoch nicht korrekt. Vielmehr ist es wichtig, die Denkweisen zu betrachten, die im Laufe der Zeit in Bezug auf die Beziehung zu dem Einen Göttlichen bestanden und sich entwickelt haben. Die polytheistische Denkweise zeigt einen Zusammenhang mit der Verwendung von Göttern als Werkzeug zur Beeinflussung und Erfüllung der eigenen weltlichen Wünsche. Dies galt so lange, als es noch an wissenschaftlichen Erkenntnissen mangelte und der Mensch nicht in der Lage war, seine irdischen Verhältnisse zu ändern. Der Übergang zum Monotheismus erfolgte, als er den Wunsch entwickelte, eine persönliche Beziehung zum Göttlichen zu haben und diese Beziehung darüber hinaus auch für ein gutes Leben nach dem Tod zu nutzen.
Verschiedene Phasen der Entwicklung
Der Polytheismus
Trotz ihres begrenzten Wissens über die Naturgesetze wollten sie ihre weltliche Situation verbessern und versuchten daher, diejenigen zu beeinflussen, denen sie die Verantwortung für ihre menschlichen Anliegen übertrugen (d. h. die von Menschen geschaffenen Götter). Mit Gehorsamshandlungen, Opfern und Ritualen wurden die Götter angerufen, die um keinen Preis verärgert werden durften. Man glaubte, dass eine "Opfergabe" (Weihrauch), die in Form einer sichtbaren Rauchsäule am Himmel zu sehen war, von den Göttern angenommen wurde.
Der Monotheismus
Der Wunsch nach einer persönlichen Beziehung zum Göttlichen ist entstanden, um einerseits ein gutes Leben im Jenseits zu gewährleisten und andererseits um in der Beziehung zum Göttlichen selbst Erfüllung zu finden.
Solange der Mensch kein Wissen über die Naturgesetze hatte, herrschte die Zwischenstufe des Monotheismus. Die Menschen beeinflussten/benutzten nun das eine Göttliche anstelle der vielfältigen, polytheistischen Götter für ihre weltlichen Wünsche.
Trotz der oben beschriebenen Beziehung zu dem einen Göttlichen ging das Leiden in der Welt weiter. Das warf Probleme auf, denn es stellte sich die Frage nach der Gerechtigkeit des einen Göttlichen. Wenn ER tatsächlich allmächtig ist, warum hat er dem Leiden in der Welt kein Ende gesetzt? Warum bevorzugt er eine Partei/Fraktion gegenüber einer anderen? (z.B. im Falle eines Krieges unter Christen)
Die Entdeckung der Naturgesetze und das Zeitalter der Aufklärung führten dazu, dass das Göttliche nicht mehr als Werkzeug zur Erfüllung der irdischen Wünsche benötigt wurde. Über einen Zeitraum von zweitausend Jahren wurde das Modell des einen Göttlichen jedoch so sehr von einer polytheistischen Denkweise durchdrungen, dass viele die Religion und Gott für überholt hielten. Die Vorstellung, dass man diese beiden für die andere Welt brauchte, schien eine psychologische Schwäche zu sein, zumal die andere Seite in den Köpfen der Menschen ein stark vermenschlichtes Bild hatte.
Zusammenfassend können wir drei Modelle festhalten
Ein polytheistisches Modell: Beeinflussung der Götter im Gegenzug für ein gutes Leben auf der Erde.
Ein monotheistisches Zwischenmodell: Wunsch nach einer Verbindung/Beziehung mit dem Göttlichen für ein gutes Leben hier auf der Erde und auch nach dem Tod (ähnlich wie bei einem Leben auf der Erde).
Das rein monotheistische Modell: Der Wunsch nach einer Herzensbeziehung mit dem Göttlichen sowohl auf der Erde als auch in allen anderen Welten und darüber hinaus. All diese Welten dienen nur als "Treffpunkte/Orte" für eine endlose Herzensbeziehung mit Ihm. Gott ist kein Mittel für einen "Wunschzettel" in dieser oder den anderen Welten.
In der Vergangenheit glaubte man, das rein monotheistische Modell sei ein spirituelles oder mystisches Modell (der Wunsch nach einer Herzensbeziehung zum Göttlichen), sowie nur das Bedürfnis "einiger Verrückter". Die Mehrheit wollte Gott nur für materielle Vorteile und Begünstigungen (im Diesseits oder Jenseits) nutzen. In Wirklichkeit ist der reine Monotheismus genau das: Es geht um eine Herzensbeziehung mit dem Göttlichen, um eine höhere Ebene des Bewusstseins und der Liebe und um eine endlose Entwicklung hin zu IHM. Es geht nicht darum, unsere Bedürfnisse auf das Göttliche in dieser oder in der anderen Welt zu projizieren.
Hat diese Beziehung zum Göttlichen etwas mit unserer Existenz hier auf der Erde zu tun? Natürlich hat sie das, aber von einem ganz anderen Gesichtspunkt aus. Wir nutzen alles auf der Erde, um unsere Beziehung zu Ihm zu vertiefen. Um dies zu erreichen, müssen wir einen Prozess der inneren Veränderung durchlaufen, und diese Veränderung kann nur durch Herausforderungen erreicht werden. Dies ist die Grundlage der Geschichte von Adam und Hawa im Qur’an. Sie stellten sich einer materiellen Herausforderung und bewirkten mit Hilfe von Werkzeugen, Einsicht und einer höheren Bewusstseinsebene eine Veränderung in sich selbst (kamen einen Schritt näher zum Göttlichen).
Die polytheistischen Modelle (z.B. Rituale/Gebet) zur Beeinflussung der Götter in der Vergangenheit wurden durch das rein monotheistische Modell in Werkzeuge zur inneren Veränderung umgewandelt. Der Islam besagt im Wesentlichen, dass das Göttliche der barmherzigste, allwissende und allmächtige Gott ist und schon immer war und es daher keinen Sinn macht, irgendeinen Einfluss auf Ihn auszuüben. Natürlich nutzen wir diese Welt als Übungsplatz, um unsere äussere Welt und unsere Beziehung zu Ihm zu verbessern und zu entwickeln. Das Göttliche antwortet dann auf diese Bemühungen im Qur'an (2:152). Gedenkt Meiner (macht Zikr auf Mich), so gedenke ich eurer (dann mache ich Zikr auf euch).
Darüber hinaus sind die grundlegenden Regeln/Prinzipien darauf ausgerichtet, die Entwicklung auf allen Ebenen zu steuern/zu leiten, einschliesslich eines guten Lebens auf der Erde (mit Herausforderungen). Es macht durchaus Sinn, dass derjenige, der diese Prinzipien befolgt, eine sehr gute Chance hat, ein gutes Leben in dieser Welt zu führen. Gleichzeitig bieten sie die Grundlage, um eine Nähe zu Ihm zu entwickeln.
In der Vergangenheit bestanden diese verschiedenen Elemente der religiösen Modelle im Islam aus zwei komplementären Bereichen. Zum einen die Scharia (ein Weg mit Gesetzen/Grundsätzen für ein friedliches Zusammenleben auf der Erde und als Grundlage für die weitere Entwicklung). Zweitens das Tariqa (ein Weg der inneren Veränderung, des Bewusstseins und der Liebe) hin zum Göttlichen. Es ist offensichtlich, dass das eigentliche Ziel und die Bedeutung des Islam in der Tariqa liegt und die Scharia die notwendige Grundlage dafür darstellt. Es gibt Menschen, deren Modelle sich auf die materiellen Dinge in dieser Welt und in den anderen Welten beschränken. Zugleich gibt es diejenigen, die diese Welt nutzen, um Seine Nähe zu suchen.